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Strodtbeck'sche Schnauze
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© aller Texte: Sophie Strodtbeck. Vervielfältigungen, auch auszugsweise, dürfen nur mit Genehmigung der Autorin vorgenommen werden!
Der Canis autisticus
...von unberechenbaren Himmeln und falsch verstandenem Tierschutz...
Vor mittlerweile 10 Jahren kreuzten sich unsere Wege das erste Mal. Zehn Jahre sind eine lange Zeit, und damals war ich noch der Meinung, dass so ein Hund mit Migrationshintergrund doch bestimmt dankbar ist, wenn man ihn in eine Wohnung in der Großstadt steckt, regelmäßig für Nahrung sorgt, mit ihm spazieren geht und ihn mit Liebe überschüttet. Wie naiv mein Denken war, zeigt mir das Dönertier sehr schnell.
Der Canis autisticus war ursprünglich in türkischen Mülltonnen beheimatet, legte einen Zwischenstopp beim „Tierschutz“ vor Ort ein, wurde mit einem halben Jahr („ist ja noch ein junger Hund“) von mir zwangsexportiert, und genießt seither in hiesigen Gefilden Asylstatus.
Den Wechsel vom "Lebensraum Mülltonne" zum "Lebensraum Couch" hat der Canis autisticus ohne größere Schäden überstanden und fühlt sich seither auf seiner Couch so heimisch, dass er sie nur sehr ungern verlässt. Denn im Gegensatz zu einem eigenen Frauchen und einem Leben in der Zivilisation, fand der Autisticus die Annehmlichkeiten einer Couch und einer Wohnung ganz passabel. Das Leben in der Stadt allerdings nicht, so musste der Autisticus selbst zum täglichen Spaziergang - notfalls unter Androhung von Gewalt!- überredet werden. Dies gelang allerdings nicht immer.
Hat sich der Autisticus dann doch überreden lassen, so lebt er draußen in der ständigen Angst, der Himmel könnte ihm auf den Kopf fallen. Dass das der Himmel in den letzten 10 Jahren nicht mal ansatzweise getan hat, beruhigt den Autisticus nicht im Geringsten - man kann da nie vorsichtig genug sein, Himmel sind einfach unberechenbar!!!
Aber nun Spaß beiseite, denn Spaß machen ihre Panikattacken weder ihr noch mir. Physiologischer weise trägt der Canis Autisticus seine Rute zwischen den Beinen und läuft sich ständig in alle Richtungen absichernd durch die Gegend. Ausgelassen ist er sehr selten – und nie lange. So können zB ein vibrierendes oder mit ungewohntem Klingelton ausgestattetes Handy, ein Schuss aus dem Wald, oder sonstige unerwartete und unbekannte Geräusche dafür sorgen, dass der Autisticus komplett in sich zusammen fällt, zittert und schreit, und durch nichts zu beruhigen ist. Ansprechbar ist sie in solchen Situationen überhaupt nicht mehr, ohne Leine würde sie monoton und stereotyp schrill bellend kilometerweit einfach geradeaus laufen. Wohin ist ihr egal, manchmal ist sie dann auch in den Wald gelaufen, dem Schuß entgegen. Das soll einer verstehen... Aber damit nicht genug, nach solchen Vorfällen dauert es meist mindestens ein bis zwei Wochen, bis sie wieder ganz die Alte ist und immerhin auf ihrer Couch entspannt. In dieser Zeit bringt sie jede Kleinigkeit völlig aus dem Konzept, selbst Dinge, die eigentlich mittlerweile kein Problem mehr darstellen. Die ersten paar Tage verweigert sie komplett jede Nahrung, außerdem kann man dann darauf warten, dass sie den Stress durch Stereotypien zu bewältigen versucht, in ihrem Fall finden sich dann handtellergroße Leckekzeme über den ganzen Hund veteilt.
Ein weiteres großes, und im Alltagsleben nicht unerhebliches Problem stellte das Autofahren dar. Was heißt Auto fahren? So weit kamen wir selten, denn die ersten vier (!) Jahre erbrach sie schon beim Anblick des stehenden Autos in 20 m Entfernung. Man muss aber zu ihrer Entschuldigung dazu sagen, dass sie das erste Auto ihres Lebens auf dem Weg zum Flughafen sah. Der Flug trug dann sein übriges dazu bei, dass zwischen Güneş und den Autos wohl nie mehr eine dicke Freundschaft entstehen wird. Ich bin ja schon froh, dass sie nun, mit 10 Jahren, zwar immer noch deutlich zeigt, wie suspekt ihr das alles ist, aber immerhin die Autoputz-Aktionen seltener geworden sind.
Zu erwähnen ist auch, dass sie, wie so viele ihrer südländischen Mitbürger/innen, massive Gelenkschäden, vermutlich durch die Mangelernährung im Welpenalter, davon getragen hat. Bereits mit 10 Monaten musste sie wegen einer OCD am Ellbogen operiert werden, inzwischen ist ihr nicht vorhandenes Hüftgelenk durch eine Denervation schmerzfrei gestellt worden. Die anderen Gelenke sehen auch nicht besser aus. Die OCD im Junghundealter und die damit verbundenen Schmerzen wiederum verstärkten ihre sowieso vorhandene Panik vor anderen Hunden, die sie bedrängen. Leider hat sie nämlich offenbar nicht „hier“ geschrien, als die viel gerühmte Sozialverträglichkeit an die Südhunde verteilt wurde. Kein Wunder, denn zwischen Mülltonne und Flug war sie in einem Gehege von „Tierschützern“ untergebracht, zusammen mit Hunden jeden Alters, und wurde ordentlich gemobbt. Das hinterließ in der Prägephase deutliche Spuren und es gab Zeiten, da hatte ein Chihuahua in einem Kilometer Entfernung ein ähnliches Panikverhalten zur Folge wie Autos, Himmel oder Schüsse. Der Besuch diverser Hundeschulen half leider auch nicht weiter, ich bekam aus heutiger Sicht haar- und fellsträubende Ratschläge. Angefangen bei einem relativ harmlosen „den Hund kann man nicht ändern, den müssen Sie so nehmen, wie er ist - oder abgeben“, bis hin zu einer Liste mit sogenannten „Dominanzregeln“, die ich mir an den Kühlschrank heften sollte, um sie auch wirklich zu verinnerlichen. Dort hingen sie auch eine Zeit lang, aber zum Glück sagte mir damals schon recht schnell mein gesunder Menschenverstand, dass das nicht der richtige Weg im Umgang mit einem zutiefst verunsicherten Hund sein kann. Warum soll ich einen Hund, der endlich anfängt Vertrauen zu zeigen und meine Nähe auf der Couch sucht, von dieser verbannen? Warum soll ich einen Keks essen, bevor ich dem Hund seinen Napf hinstelle, obwohl ich doch nur froh bin, wenn mein anorektischer Hund ein paar Bröckelchen Futter zu sich nimmt? Wie soll ich meinen Status dadurch festigen, vor dem Hund durch die Türe zu gehen, wenn dieser sich sowieso monatelang weigert, seine sichere Wohnung zu verlassen? Und warum soll ich ständig darauf bestehen, dass der tief schlafende Hund mit völlig kaputten Gelenken aufsteht und mir Platz macht, obwohl er dabei jedes mal Schmerzen erleidet und ich eigentlich sehr froh bin, dass er mir inzwischen vertraut und nicht jedes mal hysterisch aufspringt, wenn ich in seine Nähe komme? Natürlich braucht ein solcher Hund klare Regeln und Strukturen, die ihm Sicherheit geben, aber bitte auf der Basis verhaltensbiologischer Erkenntnisse, und nicht durch pauschale und schlichtweg falsche an den Kühlschrank geheftete Kochanleitungen.
So schäme ich mich bis heute furchtbar, dass ich einen anderen „Tipp“ aus Unwissenheit ausprobiert habe. Und zwar, die Ängste des Hundes (die ja angeblich ein Fehlverhalten sind!) zu ignorieren. Was heißt Angst? Im Falle meines Dönertieres war es die pure Panik. Schon der oben erwähnte Chihuahua in einem Kilometer Entfernung reichte aus, dass dieser Hund schreiend, zitternd, mit schneeweißen Schleimhäuten und dem Schock nahe in der Schleppleine hing, während ich auf der Leine stand, den Hund seinem Schicksal überließ und Wolken zählte, um ja nicht auf die Ängste einzugehen und diese zu bestärken. Glücklicherweise war mir auch da schnell klar, dass das nicht zielführend sein kann, und inzwischen weiß ich, dass Gefahrenabwehr Leittiersache ist und versuche stets für meine Hunde ein verlässlicher Partner zu sein. Inzwischen zählen meine Hunde entspannt Wolken, während ich versuche brenzlige Situationen zu regeln. Na ja, Güneş zählt keine Wolken, sondern behält den Himmel im Auge, aber ich habe weit mehr Erfolg, indem ich mich vor meine Hunde stelle, als durch das Kekse essen vor meinen Hunden! Anderen Hunden gegenüber wird sie wohl ihr Leben lang misstrauisch bleiben, aber sie hat mit den Jahren gelernt, dass sie sich auf mich verlassen kann.
Der Autisticus lebt aber bis heute meist in seiner eigenen Welt und kann Stunden damit verbringen, den Himmel im Auge zu behalten (sicher ist sicher!) oder Regenwürmer auf charmanteste Art und Weise zum Spiel aufzufordern. Dass die Regenwürmer sich auf das Spiel nicht einlassen wollen, kann der Autisticus bis heute nicht verstehen... wie so vieles andere auch...
Beim täglichen Spaziergang- wenn er denn stattfindet!- läuft der Autisticus aus Prinzip mindestens 100 Meter hinter seinem Frauchen (bzw seiner Couch- Mitbewohnerin, denn ein "Frauchen" hat der Autisticus nicht (nötig)!). Das einzige, was ihn dann aus der Reserve locken kann sind, abgesehen von Regenwürmern, vermeintliche alte Bekannte, sprich völlig unbekannte Menschen, die vom Autisticus begrüßt werden, als würde sie ihre besten alten Freunde nach 20 Jahren wieder treffen, was meist sehr erstaunte Blicke bei den betroffenen Personen erzeugt. Das diese begeisterte "Wiedersehens"freude von den meist nicht sehr Hunde-begeisterten Auserwählten nur sehr selten erwidert wird, stößt den Autisticus vor den Kopf und er fällt danach wieder in stundenlange Depressionen.
Für meine Beagles allerdings ist der Autisticus eine große Bereicherung, denn während die planlosen Beagles öfters an Büschen vorbei strahlen, in denen sich ganze Rudel von Rehen befinden, fängt der Autisticus, der Rehe annähernd so spannend findet wie Regenwürmer, unvermittelt an das Gebüsch anzuspielen. Während das Frauchen in diesen Fällen noch erstaunt dreinschaut (obwohl einen mit den Jahren eigentlich nichts mehr, was der Autisticus tut, verwundert), springt das Rudel Rehe aus dem Gebüsch, die Beagles hinterher, und zurück bleibt ein schreiendes Frauchen und ein zu Tode beleidigter Autisticus, der überhaupt nicht verstehen kann, dass Rehe solche Spielverderber sind.
Im Vergleich zu vielen Südhunden, die ich kenne, habe ich da wohl richtig Glück gehabt, denn einen ausgeprägten Jagdtrieb hat Güneş nicht. Aber dafür habe ich ja noch zwei Beagles, die sich auf dieser Baustelle als Vorarbeiter betätigen.
Der Autisticus hat es aber auch oft nicht leicht, manchmal verschwört sich die ganze Welt (und der Himmel?) gegen ihn. So kam es, dass der arme Autisticus eines Tages an der Isar aus heiterem Himmel (nein, der böse Himmel schon wieder!) anfing wie am (Döner-)Spieß schrill zu schreien und völlig hysterisch durch die Gegend zu rennen. Alle Versuche ihn einzufangen scheiterten kläglich, der Autisticus war dermaßen durch den Wind, als wäre ihm soeben der Himmel persönlich erschienen. Langsam kam auch in mir die Panik auf, denn es hörte sich an, als befände sich der Autisticus gerade im Todeskampf. Es blieb mir aber nichts anderes übrig, als den gesitteten Rückzug nach Hause anzutreten - in der Hoffnung, dass der Autisticus mir folgen würde, um in aller Ruhe auf der Couch zu sterben. Nach gefühlten Stunden wurde es dem Autisticus draußen tatsächlich zu bedrohlich, weil sich inzwischen besorgte Menschenmassen eingefunden hatten, die sich dieses Naturschauspiel nicht entgehen lassen wollten. Zu Hause war es dann endlich möglich den Autisticus, der inzwischen nur noch leise vor sich hin wimmerte, eingehend zu untersuchen- um festzustellen, dass ihm ein KAUGUMMI zwischen den Ballen klebte...!!!
Der Autisticus fühlte sich nach dieser prägenden Erfahrung übrigens in seinem prinzipiellen Misstrauen gegen die Welt bestätigt.
Eine andere Bedrohung sucht den Autisticus allmorgendlich heim. Es ist sein tägliches Yoga-Ritual jeden Tag mit ausgiebigen Streckübungen zu beginnen, wenn er sich denn endlich mal dazu durch gerungen hat wirklich die Couch zu verlassen. Einer Katze gleich wird der Autisticus dabei fast drei Meter lang und jeden Morgen entweicht seinem Popöchen dabei ein ganz leises "Pffffffft". Und auch jeden Morgen erschreckt sich der Autisticus dabei furchtbar vor sich selbst, schreit, nimmt den Schwanz zwischen die Beine, so dass er vorne wieder raus kommt, und rennt entsetzt ins nächste Eck, um von dort aus misstrauisch jeden Winkel des Zimmers zu beäugen. Danach wird wieder der Himmel abgesucht...
Auch das Fressverhalten des Autisticus ist erwähnenswert: der „ach so dankbare Straßenhund“ verweigerte jegliche Nahrung (ich wusste bis dato nicht einmal, wie viele verschiedene Hundefuttersorten es gibt) und magerte immer mehr ab. Das Hungerzentrum scheint zugunsten des Angstzentrums zurück gedrängt worden zu sein und ist nur sehr rudimentär ausgebildet. So erntet man vom Autisticus nur angewiderte Blicke, wenn man versucht, ihn mit Wienerle oder Ähnlichem aus der Reserve zu locken - während die Beagles daneben versuchen neue Rekorde in der Länge der Sabberfäden aufzustellen. Der Autisticus fängt auf der Stelle das Speicheln und Schmatzen an, verzieht die Nase und tut gerade so, als wolle man ihn vergiften! Mit einem Autisticus kann es auch passieren, dass einem wildfremde Leute mitleidig Geld für Hundefutter in die Hand drücken und man übelst als Tierquäler beschimpft wird, was bei einem Hund in Schäferhundgröße mit einem Kampfgewicht von (damals) 12 kg auch nicht weiter verwundert... Von Futterprägung hatte ich bis dahin noch nie etwas gehört - inzwischen weiß ich, dass sie für einen Döner oder Weißbrot alles stehen und liegen lässt und sogar vorübergehend ihre Angst vor dem Himmel vergisst. Aber nur vorübergehend!
Dafür lernt man mit solch einem Hund, sich über Kleinigkeiten, die für viele selbstverständlich sind (und es bis dahin für mich auch waren) riesig zu freuen. Niemals werde ich vergessen, wie der Autisticus mit ca. vier Jahren in eine Brombeerhecke gelaufen ist und sich einen Dorn in die Pfote eingetreten hat. Ich rechnete schon mit dem Schlimmsten, siehe Kaugummi, aber was machte Güneş? Sie kam zu mir, hielt mir ihre Pfote hin und schaute mich mit einem „mach das weg Blick“ an – und mir kullerten vor Rührung die Tränchen über's Gesicht. Das war das erste mal, dass sie auf mich zukam und mir vertraute! Wie toll doch so eine matschige Hundepfote sein kann...
Lange habe ich gezweifelt, ob es damals richtig war, sie aus ihrem Lebensraum zu reißen und sie hier einzubürgern, in eine Welt, die ihr vollkommen fremd war und die sie komplett überforderte. Einen Gefallen habe ich ihr damals sicherlich nicht getan, auch wenn ich, wie so viele andere auch, nur die besten Absichten hatte. Aber ich habe sie mitgebracht und da blieb nur, das beste daraus zu machen und zu versuchen, ihr die Angst zu nehmen, und das Leben hier so angenehm wie möglich zu machen. Dafür musste sie viel lernen - ich aber auch. Und zwar, mich mit dem Verhalten von Hunden auseinanderzusetzen (danke, Güneş!), auch kleine Fortschritte schätzen zu lernen, und zu akzeptieren, dass man vieles nicht ändern kann, sondern es hinnehmen muss. Ich habe meine Ansprüche runter gefahren und eingesehen, dass sie niemals der 'Kumpelhund' sein wird, der mit mir durch dick und dünn geht. Dadurch habe ich sehr viel Druck von uns beiden genommen. Sie ist einfach anders, aber das ist für mich in Ordnung. Sie lebt bei uns, und selten auch mit uns, aber sie wird im Kopf immer ein unabhängiger und zutiefst traumatisierter Straßenhund bleiben. Klar, hätte ich sie nicht mitgenommen, dann würde sie sicherlich längst nicht mehr leben – aber im Hinterkopf bleibt die Frage nach der Lebensqualität, denn die Lebensquantität ist sicher nicht alles. Doch inzwischen hat sie immerhin eine Lebensqualität, da bin ich sicher. Nicht immer, aber immer öfter! Hat ja auch fast 10 Jahre gedauert...
Aber – und zwar großes ABER! - ich halte es mit dem kleinen Prinzen: man ist zeitlebens für das verantwortlich, was man sich vertraut gemacht hat. Und so war für mich immer klar, dass ich alles geben muss, um diesem Hund ein möglichst angenehmes Leben zu bieten, denn ich war ja schließlich Schuld an seinem neuerlichen Elend. Und „alles“ war wirklich alles! Angefangen beim verzweifelten Versuch, mein Auto in gesellschaftsfähigem Zustand zu halten, über immense Kosten für die diversen Operationen, für den meist nicht sehr hilfreichen, aber trotzdem teuren Besuch vieler Hundeschulen, für den Kauf unzähliger verschmähter Futtersäcke, bis hin zu Unmengen an Zeit, die ich zwar gerne investiert habe, die aber sehr viele Nerven und Tränen gekostet hat.
Und da stellt sich mir die durchaus berechtigte Frage, wie viele Menschen bereit gewesen wären, all das mit zu machen. Viele Leute, denen einen „ach so dankbarer und sozialverträglicher Straßenhund“ versprochen wird, wären bestimmt nicht bereit gewesen, all das auf sich zu nehmen, bzw. hätten sie gar nicht die Möglichkeiten dazu gehabt. Güneş' Weg wäre, wie der vieler Südhunde, vorprogrammiert gewesen. Sie wäre zwar bestimmt schnell vermittelt worden, denn sie ist ein sehr hübsches Unikum, aber genauso schnell wäre sie vermutlich im nächsten Tierheim gelandet. Das Spiel hätte sich wahrscheinlich noch ein paar mal wiederholt, und dann wäre der Hund an seinem Stress, bzw. dem daraus resultierenden Organversagen, gestorben. Die Tierschutzorganisationen, mit denen ich in all den Jahren zu tun hatte, kümmern sich nämlich nach der Vermittlung in den seltensten Fällen um die Tiere, sondern lassen sie, gemeinsam mit den dazugehörigen Besitzern, im Regen stehen. Hauptsache der Hund ist „gerettet“, ob er will oder nicht. Ausnahmen mag es auch hier geben.
Güneş stellt bestimmt ein Extrembeispiel dar, aber trotzdem ist sie exemplarisch für viele Hunde aus dem Ausland mit ungewisser Vergangenheit. Viele Hunde, die, wenn man sie fragen würde, sicherlich nicht begeistert ihre Koffer packen würden, um hier Asyl zu beantragen. Tierschutz sollte, wie schon das Wort sagt, im Sinne der Tiere sein. Und genau da ist der Haken beim derzeit oft praktizierten Auslandstierschutz – an der Situation der Tiere dort ändern auch die großzügig verteilten Flugtickets nach Deutschland nichts, denn das ist nichts anderes als der sprichwörtliche Tropfen auf dem heißen Stein. Solange die Strategie nicht geändert, und endlich angefangen wird, zu sterilisieren und die dortige Bevölkerung aufzuklären, wird sich auch an der Situation der Hunde in diesen Ländern nichts ändern.